30. Juni 2020

‰ Mikrosteuer ‰

Revolution im Steuersystem: Die automatische Mikrobesteuerung des gesamten elektronischen Zahlungsverkehrs wäre gesellschaftlich gerecht, zeitgemäß und zukunftsträchtig

Heutzutage ist Deutschland ein Steuerstaat. Das bedeutet, jeder Steuerpflichtige in Deutschland wird zu Steuerabgaben in Form von Geldleistungen aufgefordert. Steuern sind demnach Zwangsabgaben, die ohne Gegenleistung auf unterschiedliche Güter, Dienstleistungen oder Geschäftsvorfälle vom Staat erhoben werden. Für den Staat sind die Steuern die wichtigste Einnahmequelle. Er finanziert damit seine Leistungen für die Gemeinschaft.

Die Abgabenordnung

Die für alle Steuern geltenden gemeinsamen Regeln etwa zu Steuergesetzen, Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis oder zum Steuergeheimnis, regelt die Abgabenordnung. Hier finden sich auch die Definitionen für den Steuerbegriff (§ 3) oder was unter einem Steuerpflichtigen (§ 33) zu verstehen ist.

Der Anspruch der Abgabenordnung, die Grundlage für ein möglichst unbürokratisches und rationelles Besteuerungsverfahren darzustellen, klingt allerdings reichlich vermessen. Das deutsche Steuersystem ist in Wirklichkeit sehr komplex. Das liegt allein schon an den mehr als 40 verschiedenen Steuerarten, die es hierzulande gibt. Die zugehörigen Gesetzestexte, Kommentare und Entscheidungen füllen ganze Bibliotheken.

 

Die Frage nach der Gerechtigkeit

Die Frage danach, inwieweit das System gerecht ist im Sinne des Lebens und der Menschen, wird kaum gestellt.

Vielmehr wird von offizieller Seite gerne der Eindruck vermittelt, das Steuersystem spiegele die Vielfalt der gesellschaftlichen Beziehungen wider und schütze durch seine detaillierte Ausprägung gerade auch Minderheiten. Im Übrigen gebe es Experten, bei denen man sich im Zweifel Rat holen könne. Dazu muss festgestellt werden, dass sich Deutschland wie kaum ein anderes Land in großem Stil die Ausbildung von Akademikern leistet, die nachher betuchten Steuerpflichtigen beim Aufspüren von Gesetzeslücken behilflich sind.

 

Unser Steuersystem wird heuer 100 Jahre alt

Die ‚Erzbergerschen Steuer- und Finanzreformen‘ von 1919/20 haben seinerzeit das deutsche Steuer- und Finanzsystem nahezu vollständig umgestaltet, modernisiert und stark ausgebaut. Wesentliche Elemente dieser Reformen haben bis heute Bestand – die Grundstrukturen des Steuersystems und der Steuerrechtsordnung sowie der zentralistische kooperative Finanzföderalismus. Vergleicht man diesen prinzipiellen Stillstand mit den sinnbildlich geradezu tektonischen Verschiebungen, die sowohl die Weltwirtschaft insgesamt, als auch gerade das Finanzsystem im gleichen Zeitraum kennzeichnen, muss einem allein schon um die Passung der Systeme angst und bange werden.

Buchgeld und Großrechner bilden heute das Nervenzentrum der Weltwirtschaft. Diese Tatsache wird offensichtlich übersehen. Die Steuersysteme sollten mit der sich veränderten Weltordnung Schritt halten. Die automatische Mikrobesteuerung (siehe im Glossar meines Buches) des gesamten elektronischen Zahlungsverkehrs bietet sich hier als eine praktikable Lösung an.

 

Das Mikrosteuerkonzept

Das Konzept wurde in der Schweiz entwickelt und basiert in erster Linie auf einer Veränderung des Blickwinkels: Es sind nicht länger Personen, Unternehmen, Arbeit, Produkte oder Verhalten, die besteuert werden, sondern eine übergeordnete Sache: Der Geldfluss, also der gesamte elektronische Zahlungsverkehr einer Volkswirtschaft.

Das betrifft gleichzeitig sämtliche Belastungen und die entsprechenden Gutschriften, die (auch am Geldautomaten) gebucht werden. Der Steuersatz ist ausnahmslos einheitlich und bewegt sich im Promille-Bereich. Im Gegensatz zur Finanztransaktionssteuer ist die automatische Mikrosteuer nicht lediglich eine zusätzliche Steuer im Rahmen des bestehenden Steuerwirrwarrs: die hier vorgeschlagene Mikrosteuer könnte theoretisch das gesamte aktuelle Steuersystem ersetzen.

 

Automatische Mikrosteuer am Beispiel Deutschland

Im Jahr 2017 hat der öffentliche Gesamthaushalt Steuern und steuerähnliche Abgaben in Höhe von 1.248,8 Mrd. € eingenommen. Im selben Zeitraum betrug der Wert aller Finanztransaktionen, die grundsätzlich für eine Mikrosteuer nutzbar waren, 318.976,9 Mrd. €. Wollte man durch eine Mikrosteuer alle diese Einnahmen ersetzen, wäre dazu folglich jeweils ein Satz von 1,95 ‰ (=0,195 %) pro Belastung und pro Gutschrift erforderlich. Wollte der Staat mit der automatischen Mikrosteuer nur sämtliche bisherigen Steuern ersetzen, die 2017 etwa 674,6 Mrd. € einbrachten, wäre das schon mit einem Satz von 1,05 ‰ (=0,105 %) auf den Zahlungsverkehr erledigt.

Bei einem zu versteuernden jährlichen Einkommen von beispielsweise 50.000 € läge im letzteren Fall (s.o.) die für den Steuerpflichtigen zu entrichtende Last bei 52,50 € p.a. – anstatt bei etwa 12.500 € p.a. (= 25 %) wie aktuell. Diese erhebliche Verringerung der Abgaben bedeutete gleichzeitig eine deutliche Steigerung der verfügbaren Einkommen, die die Kaufkraft der Verbraucher enorm verbessern und über die wachsende Nachfrage das Wirtschaftswachstum antreiben würde.

Die rasante Verbreitung der Digitalisierung führt zu einem Umbruch am Arbeitsmarkt. Zumindest mittelfristig dürfte das Arbeitsangebot im Anstellungsverhältnis spürbar zurückgehen (das betrifft längst nicht nur unqualifizierte Arbeiten). Diese Entwicklung wird durch Corona gegenwärtig noch beschleunigt. Für einen wirkungsvollen Ausgleich haben aber die wenigsten Industrienationen entsprechende Vorkehrungen getroffen – und die industrielle Revolution durch die 3D-Drucker hat auch noch nicht so recht begonnen. Mit Einführung der Mikrosteuer wären zumindest die Steuereinnahmen des Staates davon weitgehend unabhängig.

Die automatische Mikrosteuer ist nicht länger personenbezogen, wie etwa die Einkommenssteuer.  Der Mittelstand (KMU), der seit Jahren steuerlich am härtesten in die Pflicht genommen wird, würde durch sie massiv entlastet. Das Gleiche gälte für die real produzierende Wirtschaft. Aufgrund seiner Einfachheit und Effizienz wird das neue Steuersystem den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken. Für Start-ups kommt es finanziell wie administrativ einem Befreiungsschlag gleich.

Die Mikrosteuer wird automatisiert belastet und von den Banken – die für diese Dienstleistung gebührend zu entlohnen sind – an das Finanzamt weitergeleitet. Sie ist somit keine Zwangsabgabe mehr. Steuerbürger wie Unternehmen sind nicht länger „Steueropfer“.

Der Staat, ebenso wie die Steuerbürger und die Wirtschaft werden von enormem administrativem Aufwand befreit. Individuelle Steuertricks erübrigen sich, denn die automatische Mikrosteuer ist günstig, einfach und fair. Sollte es trotz der eminenten Vorteile zu Steuerkriminalität kommen, hat diese einen potenten Gegner – den Großrechner.

Die automatische Mikrosteuer ist nicht zweckgebunden und ermöglicht daher eine adaptive Ausgabepolitik. Denn der Satz der Mikrosteuer ist flexibel und kann bei Bedarf feinadjustiert werden. Das kommt all jenen Finanzierungen zugute, die zukünftig einen hohen Bedarf aufweisen werden. Sie liegen vor allem im sozialen Bereich (Arbeitslosigkeit, Überalterung der Gesellschaft –> bedingungsloses Grundeinkommen), im Bereich Bildung und Forschung (grüne Energie), sowie im Bereich Infrastrukturaufgaben (Klimawandel, Zuwanderung, mobile Gesellschaft).

 

Um welches Volumen geht es auf dem weltweiten Finanzmarkt?

Neben dem Zahlungsverkehr für die Realwirtschaft ergibt sich ein ungleich viel größeres Transaktionsvolumen innerhalb des Finanzsektors. Hier lohnt sich auch ein Blick auf die Tagesvolumen der Börsen in New York oder London. Es handelt sich dort um einen Zahlungsverkehr, dessen Größenordnung auf Anhieb weder erfassbar noch vorstellbar ist. Im Devisenhandel wurde global im vergangenen Jahr eine Summe von über 6,6 Billionen US-Dollar im Tagesdurchschnitt umgesetzt, was rund 7% des jährlichen Welt-Bruttoinlandprodukts entspricht.

NYSE und Nasdaq sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Die größten Volumina werden heute mittels Hochfrequenzhandel über spezielle Plattformen gehandelt; da sog. Dark Pools involviert sind, werden keine Statistiken publiziert.

An den Finanzmärkten würde die Mikrosteuer zunächst zwei wesentliche Effekte haben: Erstens, die Dämpfung der schnellen Finanzspekulation und damit der Instabilität der für Unternehmen wichtigsten Preise wie Wechselkurse, Rohstoffpreise, Aktienkurse und Zinssätze. Zweitens, die Erschließung von Einnahmen, durch die sich der Staat weitere Ausgabenkürzungen ersparen könnte.

Die Mikrosteuer würde insbesondere das schnelle „Wetten“ mit Finanzderivaten verteuern, der Erwerb eines Wertpapiers mit dem Ziel, dieses zu halten, würde hingegen kaum belastet. Genau diese „schnellen“ Transaktionen verstärken jene Kursschübe, die sich über mehrere Jahre zu „Bullen- und Bärenmärkten“ akkumulieren. Eine Mikrosteuer würde daher auch das Ausmaß des langfristigen „Überschießens“ der wichtigsten Preise in der Weltwirtschaft verringern.

Handel und Eigenhandel der sog. ‚Finanzindustrie‘ (Banken, Versicherungen, Schattenbanken, Hedge Funds etc.) würden mit der Mikrosteuer an der Quelle besteuert. Die Folge davon wäre eine höhere Transparenz bezüglich des Volumens und der Art der Transaktionen. Über die Bedeutung dieser Transparenz wurde man sich 2008 bewusst, als die Finanzkrise Regierungen und Zentralbanken auf dem falschen Fuß erwischte. Auch die Bundesregierung hat seinerzeit mit unseren Steuergeldern die Finanzinstitute gestützt und damit auf unsere Kosten Anleger gerettet. Wir haben heute ein Anrecht auf ein transparentes Finanzsystem, denn unsere Steuergelder dürfen nicht noch einmal als Garantie benutzt werden. Die Finanzaufsicht BaFin kann zwar inzwischen Gesetze anwenden, die auch auf höhere Transparenz abzielen, doch diese ist noch keinesfalls geschaffen; die Einführung der Mikrosteuer wäre deshalb dringend erforderlich.

 

Kritische Stimmen

Die hier vorgeschlagene Mikrosteuer trifft in ihrer Einfachheit und Effizienz nicht auf Begeisterung bei allen Finanz- und Steuerexperten. Sie dringt in Bereiche vor, die bislang als unantastbar galten. Bedenken der Fachleute, die Mikrosteuer sei einfach zu umgehen, sind leicht zu entkräften. Umgehungsgeschäfte sind in der Finanzbuchhaltung ersichtlich und können entsprechend geahndet werden. Erfolgen bargeldlose Zahlungen in Deutschland, sind die Abwickler (Banken, Finanzdienstleister) verpflichtet, die Mikrosteuer automatisch einzuziehen. Bargeldlose Zahlungen im Ausland von Personen mit steuerlicher Ansässigkeit in Deutschland unterliegen ebenfalls der Mikrosteuer. Die Steuerpflicht erfolgt in diesen Fällen durch Selbstdeklaration. Mit Staaten, die im Vergleich zu Deutschland eine äquivalente Mikrosteuer einführen, sind entsprechende Doppelbesteuerungsabkommen zu treffen.

 

Fazit

Ein gerechtes, zeitgemäßes und zukunftsträchtiges Instrument, diese Mikrosteuer. Gerecht, weil niedrige und mittlere Einkommen entlastet werden und der Kasinokapitalismus am Finanzmarkt zur Kasse gebeten wird. Zeitgemäß, weil es den aktuellen Entwicklungen unserer Gesellschaft vom Grundsatz her Rechnung trägt und nicht irgendeine auf Komplexität und Intransparenz basierende Symptomwirtschaft fördert. Zukunftsträchtig, weil es das Lebensförderliche in den Mittelpunkt stellt.

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